Kommentar zum Klimaschutzaktionsplan


Ein wirklicher Transformationsplan sieht anders aus

Seit November 2022 hat Mannheim einen Klimaschutzaktionsplan (KSAP). Er soll als Leitfaden für die Maßnahmen dienen, durch die Mannheim bis 2030 klimaneutral werden soll. Das Anstreben dieses Ziels ist Voraussetzung für die Beteiligung der Stadt an dem EU-Programm „100 Climate Neutral and Smart Cities“. Der Klimaschutzaktionsplan ist in einem längeren Prozess entstanden, an dessen Anfang das Versprechen einer umfassenden Bürgerbeteiligung stand, ein Anspruch, der in der Realität leider kaum eingelöst wurde. Die zu insgesamt acht Handlungsfeldern gebildeten Strategiegruppen, an den Vertreter:innen gesellschaftlicher Gruppen (u.a. auch von Klima- und Umweltorganisationen) beteiligt waren, und in denen die inhaltliche Diskussion über die Maßnahmen stattfinden sollte, haben sich nur wenige Male getroffen. Die eigentliche inhaltliche Arbeit wurde von dem von der Stadt beauftragten Wuppertal-Institut geleistet. Von Anfang an gab es Uneinigkeit über die Zielsetzung und das Vorgehen, z. B. ob es nur um das Erreichen von Klimaneutralität zu einem definierten Zeitpunkt gehen sollte oder auch um die Einhaltung des für Mannheim bei Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad rechnerisch verbleibenden Emissions-Restbudgets von 16,2 Millionen Tonnen CO2, und wie konkret der Transformationspfad festgelegt werden soll.

Die Maßnahmenbeschreibungen müssten angesichts der knappen Zeit konkreter sein

Das Ergebnis hat dementsprechend Licht- und Schattenseiten. Beschrieben werden insgesamt 81 Maßnahmen aus 8 Handlungsfeldern. Es sind gute Ideen dabei, deren Umsetzung den Klimaschutz in Mannheim auf jeden Fall voranbringen würden. Einige der Maßnahmen sind detaillierter beschrieben. Ein großer Teil sieht allerdings mehr aus wie das Ergebnis eines Brainstormings und noch nicht wie eine umsetzbare Planung. Der vielfach nur geringe Konkretisierungsgrad passt schlecht zu der (für einen großen Teil der Transformation) nur noch kurzen verbleibenden Umsetzungszeit.

Z. B. ist es sicher positiv, wenn geplant ist, die Fernwärme durch Erschließung der Potenziale an Flusswärme, Biomasse, Geothermie, industrieller Abwärme und Solarthermie zu dekarbonisieren. Zu diesem Thema war schon viel Vorarbeit geleistet worden. Es gibt z.B. die „Potenzialstudie Klimafreundliche Fernwärme ohne GKM 2030“ von BUND und Fraunhofer IEE und auch die „Energierahmenstudie“ des Wuppertal-instituts für die MVV (was immer man von deren Inhalt hält). Insofern sollte jetzt eigentlich schon konkreter darstellbar sein, von welchem Energieträger bis wann welcher Beitrag zur Fernwärme kommen soll, und wann die Kohleverbrennung im GKM beendet werden kann. Solche Konkretisierungen sucht man im KSAP allerdings vergeblich (das Ende der Kohleverbrennung wird nur als Randbedingung aufgeführt). Schwer zu verstehen ist, dass die Müllverbrennung, die aktuell schon als Energiequelle für die Fernwärme genutzt wird und leider auch fossiles CO2 emittiert, nicht mal erwähnt wird. Notwendig und begrüßenswert ist die geplante Offensive für energetische Gebäudesanierung zur Reduzierung des Heizenergiebedarfs, wobei da nicht wirklich klar wird, wie 4% Sanierungen pro Jahr bei der begrenzten Handwerkskapazität und anderen bestehenden Hindernissen (Denkmalschutz, Erhaltungssatzungen, Finanzierungsprobleme) erreicht werden sollen.

Positiv ist das Vorhaben, in der Industrie die Energieeffizienz zu verbessern, zu „kohlenstoff-freien oder -armen Energieträgern“ zu wechseln, Abwärme zu nutzen und Prinzipien der Kreislaufwirtschaft mit besserer Wiederverwendung von Rohstoffen einzuführen. Allerdings scheinen auch diese Überlegungen bisher noch wenig konkret zu sein, was angesichts des Stellenwerts dieses Sektors – er ist immerhin für fast die Hälfte des Energieverbrauchs und der CO2-Emissionen von Mannheim verantwortlich – und der kurzen Zeit bis 2030 Zweifel weckt, welchen Beitrag die Industrie bis dahin wirklich leisten wird. Die energieintensiven Prozesse der größeren Betriebe sollten eigentlich bekannt sein (z.B. in der Papierindustrie).

Unterstützenswert ist die Absicht, den klimaschädlichen Autoverkehr durch Verkehrsvermeidung und -Verlagerung auf ÖPNV, Rad- und Fußverkehr zu reduzieren, und nicht nur auf die „Antriebswende“ zu hoffen.

Schließlich ist auch gut und notwendig, dass Maßnahmen zur Klimaanpassung genannt werden, z. B. Flächenentsiegelung, Gebäudebegrünung, und Schwammstadt-Konzept. Hitzewellen und Extremwetterlagen nehmen allgemein zu, so dass die Klimaanpassung dringlicher wird. Dabei sollte aber klar sein, dass diese Maßnahmen kaum zur CO2-Reduzierung beitragen und auf keinen Fall Ersatz für wirksamen Klimaschutz sein können.

Ungesicherte „Rahmenbedingungen“ und unklare Verantwortlichkeit

Für die einzelnen Maßnahmen werden jeweils Rahmenbedingungen, Zeithorizont, Beitrag zur Klimaneutralität, finanzieller Aufwand, mögliche Synergien und Zielkonflikte und Zuständigkeiten für die Umsetzung genannt.

Unter „Rahmenbedingungen“ steht, welche rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen auf EU-, Bundes- und Landesebene vorher geschaffen werden müssen, damit die jeweilige Maßnahme durchführbar und wirksam wird. Es ist unbestreitbar, dass Mannheim keine Insel ist, weder geografisch noch politisch oder energetisch. Die Möglichkeiten, mit den Mitteln und ordnungsrechtlichen Kompetenzen einer Kommune innerhalb eines noch fossilen Umlands lokal Klimaneutralität zu erreichen, sind begrenzt. Die Unterstützung der übergeordneten Ebenen ist von daher tatsächlich nicht unwesentlich. Stellenweise werden unter den geforderten Rahmenbedingungen allerdings auch weltpolitische Risiken und andere schwer beeinflussbare Punkte aufgezählt, wodurch der Eindruck entsteht, dass da schon vorsorglich Hinderungsgründe gesucht werden, auf die später die Schuld für das Verfehlen der Ziele geschoben werden kann.

Unter „Zuständigkeit“ für die Umsetzung der Maßnahmen werden unterschiedliche Fachbereiche der Stadtverwaltung, die Klimaschutzagentur und andere Akteure (von Unternehmen bis zur gesamten „Stadtgesellschaft“) genannt. Die Zuständigkeiten in der Stadtverwaltung sind sehr breit gestreut, was das Risiko birgt, dass sich dort am Ende niemand wirklich verantwortlich fühlt. Die personellen Ressourcen dort werden (trotz Aufstockung bei der Klimaschutzagentur) auch nicht unbegrenzt sein. Was die anderen Akteure betrifft, die die weitaus meisten Emissionen verursachen, hat die Stadt nur eingeschränkte rechtliche und finanzielle Möglichkeiten, deren Verhalten zu beeinflussen, so dass deren Beiträge zur Umsetzung auch nicht als gesichert betrachtet werden können. Verbindliche Vereinbarungen mit den relevanten Akteuren (MVV, RNV, Industriebetriebe), die dafür eigentlich notwendig wären, sind uns bislang nichts bekannt.

Klimaneutralität auch bei vollständiger Umsetzung des Plans nicht gesichert

Auch wenn alle Maßnahmen umgesetzt werden, ist nicht gesichert, dass damit Klimaneutralität erreicht wird. Als Ausgangsbasis für die Emissionsreduzierung wird im KSAP die Mannheimer Emissionsbilanz von 2018 des IFEU-Instituts verwendet. Danach wurden in Mannheim 2018 3,1 Millionen Tonnen CO2 emittiert, davon 48,8% durch die Industrie, 22,5% von den Haushalten und 22,4% durch den Verkehr.

aus IFEU Emissionsbilanz Mannheim 2018

Nur für 27 der 81 Maßnahmen werden Abschätzungen für erzielbare Emissionseinsparungen angegeben. Die Berechnung dieser Zahlen ist nicht nachvollziehbar. Auch bei Maßnahmen, die bislang nur sehr grob umrissen sind, gibt es zum Teil erstaunlich hochauflösende (und damit Genauigkeit suggerierende) Angaben zur Emissionsreduzierung. Z.B. soll die Mannheimer Industrie durch die oben genannten Maßnahmen zur Energieeinsparung und zur Nutzung erneuerbarer Energie genau 319.900 t CO2 im Jahr vermeiden.[i] Zu den restlichen 54 Maßnahmen werden keine Minderungspotenziale angegeben. Wenn man die angegebenen Zahlen trotz ihrer schlechten Nachvollziehbarkeit für bare Münze nimmt, sie alle addiert (obwohl die Potenziale sich teilweise erklärtermaßen teilweise überlappen) und dabei auch noch optimistisch annimmt, dass die Vorweg-Verringerung des Gesamtenergieverbrauchs um 20%, die letztes Jahr aufgrund der Energiekrise angenommen wurde, als dauerhaft eingepreist werden kann, kommt man in der Summe auf eine Reduzierung der Emissionen um knapp 2,3 Millionen Tonnen. Bis „netto null“ würden dann noch über 800.000 Tonnen fehlen. D.h. einen wirklichen Pfad zur Klimaneutralität zeigen diese Maßnahmen nicht auf.

Emissionen 2018 und Emissionsminderung durch KSAP-Maßnahmen

Rechnung zur Zielerreichung basiert auf anderem Szenario

Um trotzdem eine Aussage über die Erreichbarkeit des Ziels machen zu können, werden im letzten Kapitel des KSAP zwei mögliche Pfade zur Klimaneutralität untersucht, die allerdings nicht auf den davor beschriebenen Maßnahmen beruhen, sondern auf einem anderen Szenario, das das Wuppertal-Institut davor in der bereits erwähnten Energierahmenstudie (ERS) für die MVV entwickelt hatte. Grund dafür ist wohl, dass für dieses Szenario im Gegensatz zum KSAP schon ein Rechenmodell für Energieverbrauch und Emissionsfaktoren vorlag. Die Energierahmenstudie ist stark auf Strom- und Wärme fokussiert, geht von anderen Ist-Emissionszahlen aus[ii] und ist in ihrer bisherigen Fassung auf eine Klimaneutralität erst im Jahr 2050 ausgerichtet. Um da schon 2030 hinzukommen, müsste die in der ERS beschriebene Transformation stark beschleunigt werden. Ob das möglich ist, wird nicht im Einzelnen untersucht. Es werden nur Voraussetzungen dafür formuliert, z. B. dass in diesem Fall der von außerhalb Mannheims kommende Netzstrom und das Gas schon 2030 klimaneutral sein müssten, dass 4 bis 6 Prozent der Häuser pro Jahr energetisch saniert werden müssten, und dass Heizungen und Autos schneller ausgetauscht werden müssten, als es bei deren technischer Lebensdauer üblich ist. Hier entsteht noch mehr als in der Beschreibung der KSAP-Maßnahmen der Eindruck, für die Erreichung der Ziele würde es hauptsächlich auf externe und andere nur eingeschränkt beeinflussbare Faktoren ankommen.

Zuletzt wird ein Abgleich gemacht zwischen den auf Mannheim entfallenden Restbudgets an CO2-Emissionen für die Einhaltung der 1,5 und der 1,75 Grad Grenze, und den kumulierten Emissionen, die bis 2030 in Mannheim entstehen würden, wenn man bis dahin mit dem ambitionierteren der beiden aus der ERS abgeleiteten Pfade, der deutlich über die KSAP-Maßnahmen hinaus geht[iii], eine Reduzierung der Emissionen um 93% erreicht[iv]. Dabei kommt heraus, dass das Budget für die Begrenzung auf 1,75 Grad in diesem Fall einhaltbar wäre, das für 1,5 Grad allerdings nicht.

D.h. scheinbar gilt jetzt sogar das von der Klimabewegung geforderte weitergehende Ziel, nämlich die Einhaltung des Mannheimer 1,5-Grad-Budgets als Maßstab. Dafür wird aber die Erreichung der Klimaneutralität bis 2030 schon vorab als gegeben vorausgesetzt. Am Ende hat man also einen Maßnahmenkatalog ohne wirkliche Wirkungsabschätzung und dafür eine Wirkungsabschätzung für ein anderes, ursprünglich längerfristig geplantes Szenario, dessen Umsetzbarkeit bis 2030 an einige eher unwahrscheinliche Annahmen gebunden ist. Und man tröstet sich damit, dass man, falls diese unwahrscheinlichen Bedingungen trotzdem alle erfüllt werden sollten, sogar in die Nähe der Einhaltung des Emissionsbudgets kommen könnte. Das heißt nicht, dass es völlig ausgeschlossen ist, mit den KSAP-Maßnahmen das Klimaneutralitätsziel oder sogar das Budgetziel zu erreichen. Es wäre dann aber mehr Zufall als Planung. Ein wirklicher Transformationsplan sieht anders aus.

Der Gemeinderat hält sich Hintertüren offen

Der Gemeinderat hat sich zudem beim Beschluss über den Klimaschutzaktionsplan vorbehalten, über die einzelnen Maßnahmen und deren Finanzierung jeweils nochmals getrennt abzustimmen. Dass dabei alle Maßnahmen auch einzeln eine Mehrheit bekommen, dürfte schon bei der derzeitigen Zusammensetzung des Gemeinderats nicht gesichert sein, z. B. bei den traditionell kontroversen Themen im Verkehrsbereich. Durch die Neuwahl 2024 könnten sich die Voraussetzungen dafür weiter verschlechtern.

Mannheim kohlefrei fordert tatsächliche Transformationsplanung und Umsetzungscontrolling mit Bürgerbeteiligung

Mannheim kohlefrei unterstützt das Ziel, Mannheim bis 2030 klimaneutral zu machen und erwartet von allen Beteiligten, dass an diesem Ziel festgehalten wird, auch wenn die Realisierung schwieriger wird, als es im KSAP auf den ersten Blick erscheint. Wir fordern weiterhin auch die Einhaltung des auf Mannheim entfallenen CO2-Restbudgets. Für die Klimagerechtigkeit ist die Menge an CO2, die bis zum Zeitpunkt der Klimaneutralität noch emittiert wird, relevanter als der Termin der Klimaneutralität.

Trotz der bestehenden Kritikpunkte setzen wir uns für die Umsetzung des KSAP ein. Das allein reicht aber nicht. Der KSAP muss durch eine tatsächliche Transformationsplanung untersetzt werden. Dazu gehört eine Konkretisierung der Maßnahmen, die Entwicklung eines Rechenmodells, das die bislang fehlende Abschätzung der Emissionsminderungspotenziale ermöglicht, bei Bedarf Ergänzungen des KSAP durch zusätzliche Maßnahmen, eine genauere Abschätzung des Finanzbedarfs, Einigungen mit Landes-, Bundes- und EU-Ebene über Fördermittel und rechtliche Voraussetzungen, eine verbindliche Einbindung der MVV und der größeren Betriebe, ein transparentes Umsetzungscontrolling und eine begleitende Bürgerbeteiligung.


[i] Zumindest teilweise wurden sie offenbar per Dreisatzrechnung aus Zahlen abgeleitet, die in einem Papier des Umweltbundesamts als bundesweite Reduzierungspotenziale genannt werden, die im Einflussbereich der Kommunen liegen

[ii] Die Berechnungsmethoden für die Emissionen des örtlichen Stromverbrauchs und der durch Kraft-Wärme-Kopplung gewonnenen Wärme unterscheiden sich von denen, die für die IFEU-Emissionsbilanz von 2018 verwendet werden. Außerdem gibt es Abweichungen z. B. beim Erdgasverbrauch der Industrie (laut IFEU-Zahlen von 2018 immerhin 1,5 TWh mit Emissionen von 380.000 Tonnen CO2), der in den ERS-Zahlen gar nicht enthalten ist, und bei den Emissionen des Verkehrs, die von IFEU mit 700.000 und in der ERS nur mit 500.000 Tonnen angegeben werden.

[iii] Bei diesem ambitionierteren Pfad wird u.a. angenommen, dass das Müllheizkraftwerk bis 2030 durch eine (aus ökologischen Gründen umstrittene) CO2-Abscheidung „klimapositiv“ wird und dass der Anteil batterieelektrischer Autos im Straßenverkehr bis dahin 50% beträgt.

[iv] 93% sind keine 100%, d.h. es gäbe dann voraussichtlich auch in den Folgejahren noch Emissionen, die man in den Budgetabgleich einrechnen müsste

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